Von Randbemerkungen zur Weltsprache

Der Camino de la Lengua Castellana führt zum Ursprung der spanischen Sprache — und in ein wunderbares Stück Spanien abseits der touristischen Trampelpfade.

von Ulrike Wiebrecht

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Bei La Rioja denken die meisten an Wein. Tatsächlich kommt ja auch gegen einen alten Marqués de Riscal oder einen Granja Remelluri Gran Reserva so schnell kein anderer Tropfen an.
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Aber die kleine Region im Norden Spaniens hat der Welt noch ein viel größeres Geschenk gemacht: die spanische Sprache, die heute von rund 570 Millionen Menschen auf der Welt gesprochen wird. Wer weiß schon, dass sich ihr Geburtsort bei San Millán de la Cogolla in einem abgelegenen Tal des Flusses Cárdenas versteckt?
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Dort hatte sich im 5. Jahrhundert ein Einsiedlermönch, der spätere Heilige San Millán, in die Gebirgslandschaft zurückgezogen, um sich ganz seinen Gebeten zu widmen.
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Um 923 folgten ihm mozarabische Mönche, bauten das primitive westgotische Ursprungskloster aus und machten es zu einem wichtigen kulturellen und politischen Zentrum. Infanten und Königinnen von Navarra fanden hier die letzte Ruhe.

Um das Jahr 977 erfolgte schließlich „el primer vagido de la lengua española“, wie der spanische Dichter Dámaso Alonso es nannte: der erste Schrei der neugeborenen spanischen Sprache. Wie es dazu kam?

Ein oder mehrere Mönche hatten in der Schreibstube des Klosters die Glosas Emilianenses verfasst, Randbemerkungen, die ihren Ordensbrüdern lateinische Texte verständlicher machen sollten.

Verbreitung in Kastilien

Sie schrieben teilweise in einem dem heutigen Hochspanisch verwandten Westaragonesisch, teilweise aber auch in baskischer Sprache, die somit gleichzeitig aus der Taufe gehoben wurde. Es waren also schlichte Notizen, die am Beginn der beiden Idiome standen! Während die eine regional begrenzt blieb, trat die andere ihren Siegeszug um den Erdball an.

Zunächst verbreitete sie sich in Kastilien, weshalb sie auch „kastilische Sprache“ genannt wird. Und es lohnt, ihr dorthin zu folgen. Der Camino de la Lengua Castellana erschließt dem Reisenden ein archaisches Stück Spanien abseits der Küsten und urbanen Zentren, das vielen unbekannt ist.

Umso nachhaltiger brennt es sich ins Gedächtnis ein: einerseits die Einsamkeit der sonnendurchglühten kargen Landschaften, andererseits die geballte Monumentalität von Burgen und Kathedralen. Nicht zufällig gehören gleich vier von sechs Stationen der 590 Kilometer langen Reiseroute zum Welterbe der UNESCO.

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Den Anfang macht San Millán de la Cogolla mit seinen beiden Klöstern. Oben in den Bergen schmiegt sich das Monasterio Suso mit seinen höhlenartigen Gemäuern in die Felslandschaft, unten im Tal behauptet sich Yuso als selbstbewusste Bastion des Glaubens.
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Erst viel später, zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert erbaut, birgt es eine der schönsten Sakristeien Spaniens. Rundum Weizenfelder und Wälder, die sich im Herbst in eine Sinfonie von Farben verwandeln.

Theologen als Hüter der Sprache

Hundert Kilometer weiter erhebt sich das Kloster Santo Domingo de Silos in der Provinz Burgos, die nächste Station der Route. Wieder ein Kloster? Natürlich: Lange, bevor ein Cervantes auf Spanisch schreiben konnte, waren es Mönche und Theologen, die zur Verbreitung der Sprache beitrugen.

Nicht etwa als schöngeistige Beschäftigung: In einer Zeit, als die Mauren noch einen großen Teil der Iberischen Halbinsel besetzt hielten, war der Glaube eine wichtige Waffe der Reconquista.

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Vermittelt wurde er durch Schriften, wie sie in der kunstvollen Bibliothek von Santo Domingo de Silos zu sehen sind. Ordensbrüder, die nicht lesen konnten, mussten sich derweil an die wunderschönen Kapitelle im romanischen Kreuzgang halten, die Szenen aus dem Leben Christi darstellen.
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Wer zur rechten Zeit dort ist, kann heute auch den gregorianischen Messen lauschen, die die Benediktinermönche regelmäßig abhalten. Eine Zeitreise ins Mittelalter!
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Sobald man allerdings einen der Gasthöfe in der Umgebung aufsucht, wo Spanferkel und chuletas, zentimeterdicke Koteletts mit roten Paprikagemüse auf den Tellern landen, kommt man wieder ganz in der spanischen Gegenwart an.
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Meist läuft im Hintergrund der Fernseher und alle reden laut durcheinander. Natürlich auf Spanisch. Bevor es sich aber als Volkssprache durchgesetzt hat, haben wiederum die Universitäten für seine Verbreitung gesorgt.
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Zum einen jene von Valladolid, der nächsten Station auf der Route der spanischen Sprache, 127 Kilometer westlich von Santo Domingo de Silos. Zweimal war die Stadt am Pisuerga-Fluss spanische Hauptstadt, aus ihrer Glanzzeit haben sich rund um die Plaza Mayor jede Menge Sakralbauten, die unvollendete Kathedrale und allerlei Adelshäuser im Renaissancestil erhalten.
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Und eben die Universität. Ihr ist es zu verdanken, dass heute unzählige Studierende das monumentale Stadtbild aufmischen.
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Das gilt erst recht für Salamanca. In der UNESCO-Welterbestadt wimmelt es nur so von jungen Menschen. Darunter sind besonders viele ausländische, die zu Sprachkursen herkommen.
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Dass man hier feinstes Kastilisch lernen kann, dazu haben Gelehrte der Universität wie Antonio de Nebrija beigetragen. Er verfasste 1492 die Gramática de la lengua española, das erste Lehrbuch einer europäischen Volkssprache.
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Wie bedeutend das Regelwerk im Zusammenhang mit der gleichzeitigen Eroberung Amerikas werden sollte, ist den heutigen Studierenden wohl kaum bewusst, wenn sie sich in den Straßencafés rund um die Plaza Mayor mit ihren 88 Arkaden vergnügen.
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Besonders hoch im Kurs steht bei ihnen das Viertel Barrio del Oeste jenseits der beiden Kathedralen, Zentrum der alternativen Kultur mit rund hundert Graffiti-Kunstwerken an Häuserwänden, Fassaden oder Garagentoren.

Heimat von Miguel de Cervantes

Was für ein Kontrast zu Ávila, der nächsten Etappe des Camino! Nach der quirligen Hochburg der Studierenden taucht man in der höchstgelegenen Stadt Spaniens in die mystische Atmosphäre der Heiligen Teresa ein.

Wie ein Bild aus einem Märchen spiegelt sich beim Näherkommen die 2.500 Meter lange Stadtmauer mit ihren Türmen im Wasser des Rio Adaja – Relikt jener Zeit, als Ávila Teil des hart umkämpften Grenzlands zwischen Mauren und Christen war.

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Hinter den schützenden Mauern verordnete die Heilige im 16. Jahrhundert ihren Zeitgenossen eine bescheidene, gottesfürchtige Lebensweise. Die versüßten ihnen immerhin die Yemas de Santa Teresa, ein Konfekt aus Honig und Eigelb, an dem auch heutige Besucher nicht vorbeikommen.
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Den Höhepunkt der spanischen Sprache markiert schließlich Miguel de Cervantes. Das Licht der Welt erblickte der Autor des „Don Quijote“ in Alcalá de Henares, einer weiteren UNESCOWelterbe- Stadt in der Provinz Madrid. Hier steht ein Nachbau des Geburtshauses, in dem der Dichter auch seine Kindheit verbrachte. Sein Geist lebt jedoch auch an Plätzen, Monumenten und in Theatern rund um die Calle Mayor fort.

Dazwischen locken jede Menge Tapas-Bars, denen auch ein Sancho Panza schwerlich widerstehen könnte. Hier kann man mit einem guten Tropfen auf ihn anstoßen. Nicht nur mit einem Rioja. Unterwegs auf dem Camino de la Lengua Castellana dürfte man sich auch mit den erstklassigen Weinen Kastiliens angefreundet haben!

Über den Autor

Ulrike Wiebrecht
Nach vielen Jahren in Barcelona arbeitet Ulrike Wiebrecht heute als Journalistin und Buchautorin in Berlin. Von dort aus ist sie regelmäßig in Spanien unterwegs. Am liebsten am Cabo de Gata und am Cap de Creus.

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